Wir wollen nun die bereits in Kapitel 2 besprochene Konvektion weiter vertiefen. Dabei gehen wir insbesondere auf die Grenzschichten ein, die sich an einer von Fluid umströmten Wand bilden. Besonders wichtig sind die Geschwindigkeitsgrenzschicht und die Temperaturgrenzschicht:
Die Geschwindigkeit ist direkt an der Wand null (Haftbedingung). Nach außen hin wird sie größer. Die Temperatur geht in der Grenzschicht von der Wandtemperatur in die Fluidtemperatur über.
Prandtl-Zahl:
Nach Newton gilt:
Dabei ist der konvektive Wärmeübergangskoeffizient. Wenn die Wandtemperatur größer als die Umgebungstemperatur ist, geht der positive Wärmestrom von der Wand weg. Dies müssen wir bei dem Aufstellen der Differentialgleichung beachten.
5.1 Laminare und turbulente Grenzschichten
Der Rand der Geschwindigkeitsgrenzschicht ist so definiert, dass gilt:
Für die Temperaturgrenzschicht gilt analog:
Wir unterscheiden zwischen laminarer und turbulenter Strömung.
Die Grenzschicht ist im Prinzip eine Isolationsschicht. Bei dünnerer Grenzschicht ist der Wärmestrom größer als bei dickerer Grenzschicht, da der Temperaturgradient mit steigender Dicke sinkt. Im turbulenten Fall findet eine Durchmischung von warmem und kälterem Fluid statt, daher wird der Wärmeübergangskoeffizient in der turbulenten Grenzschicht größer:
5.2 Navier-Stokes-Gleichung
Um die Navier-Stokes-Gleichung zu verstehen, brauchen wir als Grundlage die Gleichungen der
- Massenerhaltung
- Impulserhaltung
- Energieerhaltung
5.2.1 Massenerhaltung (Kontinuitätsgleichung)
Wir betrachten ein im Raum feststehendes differentielles Volumenelement, das von dem Fluid durchströmt wird (Massenstrom ).
Es gilt:
Wir entwickeln die austretenden Massenströme als Taylorreihe:
Mit einsteinscher Summenkonvention erhalten wir die Kontinuitätsgleichung:
Im Fall eines inkompressiblen Fluids gilt und damit
und
. Die Kontinuitätsgleichung vereinfacht sich damit:
5.2.2 Impulserhaltung (Navier-Stokes Gleichung)
Der Impuls bleibt ohne Einwirkung äußerer Kräfte erhalten. Nach Newton gilt:
Wir betrachten die Impulsbilanz im Volumenelement :
Durch das Volumenelement fließt das Fluid. Die Strömungsrichtung kann schräg zu den Normalenvektoren des Elements liegen. Es gilt:
Der Fluss von Impuls durch die Fläche
ist
.
Eine Änderung des Impulses erfolgt außerdem durch
- Netto-Impulsfluss:
- Netto-Druckkraft:
- Externe Volumenkräfte (z.B. Schwerkraft):
- Scherkräfte (Impulsdiffusion):
Insgesamt ergibt sich die Navier-Stokes-Gleichung:
Konvektive Ableitung (totale Ableitung im mitbewegten System):
Beispiel Dichte:
Diese Ableitung nach der Zeit würde ein Dichtemessgerät anzeigen, das sich auf einer Stromlinie bewegt.
Es gilt:
Nachweis durch Ausdifferenzieren:
Eigenschaften des Scherkrafttensors
Der Tensor ist symmetrisch:
Dabei sind Schubspannungen und
mit
Scherspannungen:
Die Volumenviskosität wird meistens weggelassen, da laut der Kontinuitätsgleichung gilt:
Wir erhalten damit die Navier-Stokes-Gleichung in der Form:
Es sind nun alle Terme bis auf den Druck definiert. Der Druck ist bisher noch eine externe Variable. Die Größe nennt man dynamische Viskosität, sie hat die Einheit
. Diese hängt mit der kinematischen Viskosität zusammen:
. Einheit:
.
Beispiele:
5.2.3 Energieerhaltung
Die Totalenergie (Energie pro Masse) setzt sich aus innerer und kinetischer Energie zusammen:
Um die Energie pro Volumen zu erhalten, multiplizieren wir mit der Dichte:
Änderung der Energie:
Analyse x-Energiefluss:
Durch die wirkenden Kräfte wird Arbeit geleistet:
Die Arbeit entsteht dabei durch:
- Druckkräfte:
- Scherkräfte:
- Volumenkraft:
- Wärmequelle:
- zusätzlicher Term, der durch weitere physikalische Phänomene entsteht
Wärmeströme durch Wärmeleitung:
Wir erhalten insgesamt:
(*)-(Impulsgleichung Index i):
Dabei bezeichnen wir als “Dissipationsfunktion”.
Gleichung für die Enthalpie ( hier spez. Volumen):
Ein paar Bemerkungen bevor wir die Ähnlichkeitsanalyse machen:
- 5 partielle DGL für
,
und
(alternativ
,
oder
)
- Transportgrößen:
bzw.
,
ist externe Variable (wird von außen aufgeprägt und kann nicht als Teil der Gleichungen bestimmt werden)
- Kontinuitätsgleichung und Impulsgleichung enthalten
,
bzw.
nicht direkt, sondern nur über
näherungsweise Abkopplung der Energiegleichung
5.2.4 Normierung und Randbedingungen der Navier-Stokes Gleichung
Zur Normierung der Navier-Stokes-Gleichung nehmen wir folgende Umgebungssituation an:
Größen zur Normierung der Navier-Stokes-Gleichung
Länge:
Dichte:
Geschwindigkeit:
Viskosität:
Wärmeleitfähigkeit:
Druck:
Zeit:
Scherspannung:
Massenkräfte:
Raumableitung:
Zeitableitung:
Substantielle Ableitung:
Randbedingungen
Impulsgleichung:
Kennzahlen der Bilanzgleichungen: Re, Pr und Ec. Hiermit können wir die drei bisher hergeleiteten Gleichungen umschreiben.
Kontinuitätsgleichung:
Navier-Stokes-Gleichung:
Thermische Energiegleichung:
Die Eckert-Zahl beschreibt das Verhältnis der kinetischen Energie zur Enthalpie einer Strömung.
Messung der globalen Nusselt-Zahl abhängig von der Reynoldszahl am quer angeströmten Zylinder:
Typische Werte der Prandtl-Zahl:
Energiegleichung:
perfektes Gas:
Wir haben nun 5 Gleichungen für ,
und
.
Schallgeschwindigkeit:
Wähle:
Wir sehen, dass die Eckert-Zahl für vernachlässigt werden kann.
5.3 Spezialfall dünne Grenzschicht (Prandtl-Näherung)
Wir wählen im Koordinatensystem immer entlang der Platte und
in das Fluid.
Es sei
Wir treffen nun folgende Annahmen:
- inkompressible Strömung,
- horizontale Geschwindigkeit groß,
- Änderung der horizontalen Geschwindigkeit in
-Richtung am größten,
- Symmetrischer Spannungstensor,
- Druck nicht von
-Koordinate abhängig:
- keine starke Temperaturänderung entlang der Platte,
Navier-Stokes-Gleichung:
Normierung:
Als ersten Trick führen wir eine Ähnlichkeitsvariable ein:
Stromfunktion:
Aus dieser Stromfunktion leiten wir die Geschwindigkeitskomponenten ab.
Der zweite Trick ist es, die Geschwindigkeitskomponenten so zu wählen, dass die Kontinuitätsgleichung erfüllt ist. Ansatz:
Kontinuitätsgleichung:
Wir müssen nun die und
in die Navier-Stokes-Gleichung einsetzen und auflösen:
Randbedingung:
Blasius-Lösung für die Grenzschicht an einer ebenen Platte (ohne axialen Druckgradienten):
Die normierte -Geschwindigkeit steigt bei etwa
auf einen Wert von 99%. Daraus können wir sehen, dass die Dicke der Grenzschicht proportional zur Wurzel der Lauflänge
ist:
Die Ableitung der Geschwindigkeit an der Wand sagt uns, wie groß die Wandreibung ist. ist die Schubspannung an der Wand. Diese normieren wir:
Auch der Reibungskoeffizient ist also proportional zum dynamischen Druck der Anströmung.
Der Wärmeübergangskoeffizient ist proportional zur reziproken Wurzel der Lauflänge.
Thermische Grenzschicht:
Wir erhalten die DGL:
Randbedingungen:
Diese DGL können wir nur numerisch lösen.
Polenhausen Lösung für die Temperatur-Grenzschicht (ohne axialen Druckgradienten):
Nusseltzahl an ebener isothermer Platte als Funktion der Prandtl-Zahl:
Wir bekommen Korrelationen für die Nusselt-Zahl:
Für Gasströmungen ist die zweite Näherung ziemlich gut. Luft hat z.B. eine Prandtlzahl von 0,7.
Lokale Nusselt-Zahl:
In der Aerodynamik wird oft die Stanton-Zahl verwendet. Diese ist nichts anderes als ein normierter Wärmeübergangskoeffizient:
Reibungskoeffizient:
Es folgen unterschiedliche Ergebnisse für Prandtl-Zahlen gleich und ungleich 1.
Für :
Für :
5.4 Vergleich laminare und turbulente Strömung
Laminar:
Turbulent:
5.5 Konvektiver WÜ bei schneller Strömung, Recovery-Temperatur
5.5.1 Aerodynamische Erwärmung
Aerodynamische Erwärmung ist die Erwärmung eines Festkörpers durch Umströmung mit Fluid (z.B. ein Flugzeug, das von Luft umströmt wird). Sie ist eine Form von erzwungener Konvektion, das Kraftfeld wird hierbei durch den bewegten Körper verursacht.
An der Oberfläche des Körpers ist die Strömungsgeschwindigkeit gleich Null. Wenn das umgebende Fluid langsamer wird, verwandelt sich seine kinetische Energie in Wärme. Während die Strömung fast auf Null abgebremst ist, steigt ihre Temperatur. Der Geschwindigkeitsgradient normal zur Oberfläche erlaubt einen geringen Stofftransport, wodurch die Hitze nach außen abgeleitet wird und die tatsächliche Temperatur an der Oberfläche nicht der Staupunkttemperatur entspricht. Diese tatsächliche Temperatur wird Recovery-Temperatur genannt.
5.5.2 Stationäre Grenzschichtnäherung
Wir betrachten laminare Strömungen. Die Energiegleichung lautet:
Wir führen die Totalenthalpie ein:
Da wir explizite Volumenkräfte haben, dürfen wir hier keine potentielle Energie benutzen.
Wir haben keine Quelle, also . Es gilt
Der Term ist hier verglichen mit den bisherigen Betrachtungen neu, er darf bei hohen Geschwindigkeiten nicht vernachlässigt werden.
Ideales Gas:
Perfektes Gas:
Totaltemperatur:
Wenn ist, fällt der hintere Term weg, es ergibt sich die normale Gleichung der laminaren Grenzschichttheorie. Für
bekommen wir den hinteren Term dazu.
Wir führen wieder die Ähnlichkeits-Koordinate ein:
Stromfunktion in Abhängigkeit dieser Koordinate:
Totaltemperatur:
Für :
-Lösung entspricht der
-Lösung der laminaren Grenzschicht.
Wir betrachten perfektes Gas.
Randbedingung:
Homogene Gleichung
Spezielle Lösung für die inhomogene Gleichung mit adiabaten Bedingungen:
Dimensionslos:
Adiabate Bedingung:
Dies ist eine DGL zweiter Ordnung, die nichtlinear in ist. Sie lässt sich numerisch lösen. Wir erhalten so die Verläufe der Recovery-Temperatur:
Für eine Prandtl-Zahl kleiner als 1 ist also die Temperatur an der Wand kleiner als die Totaltemperatur im Unendlichen. An der Wand muss die statische Temperatur der Totaltemperatur entsprechen. Aus der Lösung sieht man auch, dass die Ableitung der statischen und totalen Temperatur an der Wand gleich null ist.
Man muss berücksichtigen, dass die Wärmeleitung in der ursprünglichen Form () sensitiver auf die Totaltemperatur ist. Wenn die Wärme besser abgeleitet wird, als der Impulstransport funktioniert, dann wird Energie nach außen geleitet. Es wird thermische Energie vom Inneren der Grenzschicht ins Äußere verlagert. Wenn die Wärmeleitung schlecht ist, gibt es an der Wand einen Wärmestau.
Temperaturfeld für für die homogene Gleichung (
):
Lösung der kompletten Gleichung für als Superposition einer homogenen Lösung und einer inhomogenen Lösung:
Der inhomogene Teil stellt dabei sicher, dass auch die inhomogene Gleichung erfüllt wird. Die Recovery-Temperatur ist also die Wand-Temperatur unter der Annahme, dass die Wand adiabat ist. Für ist dies die Totaltemperatur im Unendlichen. Für
ist sie kleiner, für
ist sie größer als die Totaltemperatur im Unendlichen.
Recovery-Faktor:
Bestimmung der Konstanten und
:
Dabei ist die Lösung der Temperaturgleichung für
. Wir können sehen, dass sich der Wärmestrom für schnelle Strömungen genauso verhält wie für langsame Strömungen. Die Recovery-Temperatur müssen wir an der Stelle einsetzen, wo vorher die Temperatur im Unendlichen stand. Wir bekommen folgende Aussage:
Auswertung für laminare Strömung:
Für langsame Strömungen gilt:
Verläufe der Recovery-Temperatur für :
5.6 Filmkühlung
In den letzten 50 Jahren wurde die im Rahmen der Forschung an Gasturbinen die Brennkammer-Austrittstemperatur bzw. die Eintrittstemperatur der Hochdruckturbine immer weiter erhöht, um den Wirkungsgrad des Triebwerks zu verbessern und so den möglichen Schub zu erhöhen. Die nun auftretenden sehr hohen Temperaturen gefährden allerdings die strukturelle Integrität der Turbine, insbesondere der Schaufeln. Die Turbineneintrittstemperaturen moderner Triebwerke überschreiten den Schmelzpunkt des Materials der Turbinenschaufeln. Um ein Schmelzen der Schaufeln zu verhindern, wurden Systeme zur Filmkühlung integriert. Bei der Filmkühlung wird kalte Luft aus der Kompressorstufe in die Innenräume der Turbinenschaufeln geleitet, die dann durch kleine Löcher in den Wänden der Schaufeln austritt. Diese Luft bildet eine dünne, isolierende Schicht entlang der Oberfläche der Schaufeln.
Es muss dafür gesorgt werden, dass die Wand möglichst lange vom Kaltgas umströmt wird und nicht vom Heißgas.
Wir führen eine dimensionslose Temperatur ein, nämlich die adiabate Filmkühleffektivität:
ist die adiabate Wandtemperatur. Solange der Kühlfilm funktioniert (“dick ist”), entspricht die Wandtemperatur der Kaltgastemperatur:
Nachdem sich der Kühlfilm aufgelöst hat, entspricht die Wandtemperatur der Heißgastemperatur:
Wenn wir keine adiabate Wand annehmen, lässt sich der Wärmestrom schreiben als:
Für schnelle Strömungen müssten wir durch
ersetzen. Dies ist bei Filmkühlung aber meist nicht der Fall.
ist ähnlich wie die Korrelation ohne Film.
Filmkühleffektivität:
Je höher die Filmgeschwindigkeit im Vergleich zur Heißgasgeschwindigkeit ist, desto länger wirkt sich der Kühlfilm auf die Wandtemperatur aus. Der Bereich, in dem die Heißgasströmung noch nicht an die Wand kommt, nennen wir Potentialkern.
Der Verlauf der Filmkühleffektivität hängt unter anderem von der Geometrie ab. Für die Korrelation für verwenden wir die Verhältnisse
und
.
Ausblasrate:
Bei der Effusion (den austretenden Kaltgasstrahlen) muss das Heißgas die Kaltgasstrahlen “umbiegen”. Impulsverhältnis:
Kühlung einer modernen Turbinenschaufel: